B"H
Jeder wird in seinem Leben immer wieder mit etwas konfrontiert; bei mir sind es die Aussteiger aus der Haredi - Society (Aussteiger aus dem Ultra - Orthodoxen Judentum).
Immer wieder treffe ich unbewusst auf andere Aussteiger. Jemand meinte einmal lakonisch zu mir, dass dies vielleicht G-ttes Weg sei, mich auf die Haredi - Pfade zurueckzufuehren.
Seien es nun Satmar, Chabad, Belz oder Gur (Ger)....Ich habe die Gabe alles anzuziehen.
Mein Ausstieg aus der Haredi - Society war wesentlich einfacher als derer aus den genannten chassidischen Gruppen. Nicht als Haredi geboren, kam ich viel spaeter dazu. Heisst, ich hatte vorher ein "normales" Leben mit Uni und Beruf, was den Ausstieg im Endeffekt erleichterte.
Ich kam irgendwie zufaellig dazu. Durch meinen Job mit Haredim und die automatischen Haredi - Freunde. Dadurch kam ich in die Gesellschaft und nahm an vielen Shabbat - Essen bei Satmar in Mea Shearim teil. Zusaetzlich ging ich noch auf eine litvishe (Midnagdim) Yeshiva. Die Umwelt ausserhalb dieses Zirkels, die sogenannte normale Welt, spielte keine Rolle mehr. Nicht, dass man sich als Haredi total abschottet, doch will man andererseits auch nicht mit gewissen Dingen in Beruehrung kommen, die einen dann stoeren. Ungluecklich war ich nicht, eher das Gegenteil.
Doch wo kam der Bruch ?
Der Bruch kam nicht durch die Haredim, sondern durch mich selbst. Um perfekter zu sein, hatte ich mir selbst Zwaenge auferlegt, was mich gewiss nicht zu einem Einzelfall macht. Andererseits vermisste ich sehr viele Dinge in meinem "neuen" Leben, wie Kino, Kreativitaet etc.
Ich war in zwei Personen gespalten, was mich zu einem Doppelleben zwang. Unter der Woche war ich toll religioes und dreimal pro Monat auch am Shabbat. Doch einmal pro Monat musste ich entkommen. Entweder nach Tel Aviv in ein Hostel und Halligalli machen oder ich fuhr zu einer belgischen Freundin, welche damals in Kiryat Ekron (nahe Rehovot) wohnte. Francoise wusste schon immer, was auf sie zukam, wenn mein Besuch anstand. Ersteinmal dauerte es mindestens zwei Stunden, bis ich meine religioese Welt vergass und mich auf etwas anderes konzentrieren konnte. "So, what's up this time?" lautete immer ihre erste Frage.
Wenn ich am Shabbat wegfuhr, so zog ich mich meistens vorher um. Jeans und so. Dieses war immer eine kleine Prozedur, denn tat ich das doch heimlich. In unserer Nachbarschaft haette ich nicht in Hose herumlaufen koennen.
Das ist das Schlimmste ueberhaupt, das eigene Gewissen. Schliesslich rannte ich nicht vor der Religion davon, sondern einem Lebensstil, den ich wollte und doch nicht wollte.
Klar, ich haette einfach meine Sachen packen und abhauen koennen, aber damals dachte ich, dass dies alles nur eine zeitweilige Krise sei, die jeder einmal durchmacht.
Das ganz grosse Problem ist, keinen Ansprechpartner zu haben. Mit wem kann man schon ueber soetwas reden ? Ein Chabad - Rabbi wollte mir helfen und waere er damals nicht gerade nach New York geflogen, well, vielleicht waere alles anders gekommen.
Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an mein Problem. Wieso konnten andere in dieser Gesellschaft leben und ich nicht ? Wieso schaffte ich es nicht ? Der Koerper wollte, die Seele nicht.
Heute gibt es sehr viele Help - Groups diesbezueglich und viele Foren im Internet, doch damals vor genau neun Jahren stand ich ziemlich alleine da. Zu den Nationalreligioesen wollte ich nicht entkommen, denn das waere unter meiner Wuerde gewesen. Stattdessen stand ich eines morgens auf, zog eine schwarze Jeans an und schmiss meine Roecke, bis auf einen denn man weiss ja nie, in die Muelltonne. Die Nachbarn waren zuerst geschockt von meinem Anblick, doch gewoehnten sich dran. Und sie sprachen sogar noch mit mir.
In der Innenstadt hatte ich immer das Gefuehl von allen angestarrt zu werden. Jeder muesse doch sehen, dass ich Haredi bin. Wieso sagt keiner was ?
Mein Freundeskreis reagierte ueberraschend positiv und ich habe nur ganz ganz wenige Freunde verloren. Ansonsten verurteilte niemand, sondern sah es als eine Krise.
Die Situation wurde taeglich schlimmer, was fast zu einem kompletten Nervenzusammenbruch fuehrte. Ich beschloss einen schnellen Tapetenwechsel und fuhr innerhalb weniger Wochen nach Deutschland. Dort wollte ich einen klaren Kopf bekommen und Gedanken ordnen. Einfacher gesagt als getan, denn in Deutschland incl. bei juedischen Gemeinden ist dieses Problem voellig unbekannt. So half ich mir irgendwie selbst, hielt Kontakt mit einem Rabbi in Jerusalem und anderen Freunden. Meine zweieinhalb Jahre Deutschland wurden religioes zu einer Farce, war ich doch mehr Haredi als ich eigentlich wahr haben wollte. Dennoch war es eine hilfreiche Zeit, in der ich sehr viel lernte.
Zurueck in Israel hatte ich sofort wieder Kontakt zu meinen alten Freunden. Ich sah alles etwas distanzierter, was mir half.
Bei den Nationalreligioesen bin ich nach wie vor nicht und fuer das Kino habe ich leider kaum Zeit. Meinem Aussehen nach bin ich nichtreligioes, doch redet jemand einige Minuten mit mir, werde ich schon als Dossit (Haredi) gesehen. Mit den Haredim verbindet mich eine gemeinsame Sprache und wir verstehen uns sofort. Mit den Nationalreligioesen hatte ich soetwas nie. Komischerweise sind heute fast alle meine Freunde Haredim und wir kommen sehr gut miteinander aus, denn ich mache keine Show mehr.
Ein nichtreligioeser Kollege fragte mich vor einigen Monaten, ob ich mich nicht schuldig vor G-tt fuehle, religioes zu sein, doch in Hose herumzulaufen. Nein, antwortete ich.
Es gibt einen tollen Satz im Film "YENTL", der wahrscheinlich auf mich zutrifft: G-tt wird es verstehen, die Nachbarn nicht."
Eines aber trifft auf fast alle Aussteiger gleichermassen zu:
Fast alle bleiben religioes, wenn auch etwas mehr "light".
Donnerstag, 27. Dezember 2007
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