Dienstag, 4. März 2008

Was macht einen Zaddik (Gerechten) aus ?

B"H

Nicht nur, dass ich mich einfach nicht entscheiden kann, einer chassidischen Gruppe beizutreten oder nicht; aber selbst wenn, welche Gruppe würde dann bei mir ganz oben auf der Liste stehen ?

Wie ich einige Male zuvor erwähnte, bin ich keine Person, die mit einer einzigen Gruppierung mitläuft, denn ich behalte immer meine eigenen Ideen und Ansichten bei. Ich laufe nicht mit der Masse. Nach all den Jahren, in denen ich mit Chassidim zu tun hatte / habe, könnte ich nicht konkret bestimmen, welche chassidische Gruppe ich besonders bevorzuge und welche nicht. Und das, obwohl ich mich mit dem Chassidismus identifiziere und viele chassidische Bräuche halte und ein chassidisches Sidur (Gebetbuch) habe.

Allerdings ist es mehr als offensichtlich, dass die Chassidim bestimmter Gruppen sich durch eine spezielle Mentalität bzw. einem Verhalten voneinander unterscheiden. Ich weiß nicht genau, wie ich das einem Außenstehenden genau erklären könnte, jedoch sieht man nach einiger Zeit diverse Unterschiede. Ich nehme einfach einmal die Chassidut Belz als Beispiel und hoffe, dass sich kein Belzer beleidigt fühlt. Nichtsdestotrotz gibt Belz ein hervorragendes Beispiel her.

Andere chassidische Gruppen sagen Folgendes über die Belzer:
"Die denken doch einzig und allein nur an ihr Geld. Immer nur Geld, Geld, Geld."

Wer zum chassidischen Tisch des Belzer Rebben, Rabbi Yissachar Dov Rokeach, geht, der sieht Hunderte Chassidim, die beflissen ihrem Rebben zu dienen bereit sind. Einmal kam ich etwas zu früh zum Tisch am Freitag abend und der Rebbe war noch nicht eingetroffen. Seine Chassidim liefen auf und ab, redeten miteinander, etc. Plötzlich verkündete jemand laut, dass der Rebbe im Anmarsch sei und man sah die Chassidim nur noch rennen. Alle wollten schnell auf ihren Platz und bereitstehen. Solch Beflissenheit habe ich noch bei keiner anderen chassidischen Gruppe erlebt. Es war als käme ein Armeegeneral seine Truppe besuchen.

Am Schabbat tragen die Belzer ihre allerbeste Garderobe und vor allem die schwarzen Schuhe sind blitzblank geputzt.
Wer die Belzer nur vom Tisch kennt, der wird kaum übersehen, dass vor allem sie eine bestimmte Mentalität haben, die ich einfach nicht in der Lage bin genauer zu definieren. Man muß es schon selbst sehen. Allein ihr Gang ist schon anders. Man könnte es Eleganz nennen, andere Chassidim hingegen nennen es Arroganz.
Kennt man die Belzer jedoch etwas näher, lernt man meistens nette offene Menschen kennen, die nicht immer nur an Geld denken. Jedenfalls habe ich bisher nur positive Erfahrungen mit Belz gemacht.

Vor wenigen Wochen erzählte ich einem Chassid (NICHT Belz) von Bekannten von mir. Die nämlich schliessen sich gerade einer anderen chassidischen Gruppe an, da sie den Rebben lieben.
Der Chassid grinste und meinte ironisch: "Und was ist, wenn der Rebbe stirbt und sie seinen Nachfolger nicht mögen ? Was dann ? Wechseln sie dann wieder die Gruppe ?"

All diese Aufzählungen stellen nur einige meiner Gründe dar, warum ich mich mit keiner chassidischen Gruppe uneingeschränkt identifiziere. Einfach so ein bestimmtes Verhalten zu übernehmen, nur einen Rebben verehren und all dessen Ideen und Halachot (Psak Din – halachische Entscheidungen) zu 100%ig zu akzeptieren, ist nichts für mich.

Eines meiner größten Probleme ist es, einen chassidischen Rebben, egal welcher Gruppierung, als einen Zaddik (Gerechten) anzuerkennen. Ohne Frage stimme ich mit dem Baal Shem Tov und seinem Zaddik – Konzept zu. Dennoch ist mir Rabbi Elimelech von Lejansk in seinem Buch "Noam Elimelech" mit seiner Zaddik – Definition viel zu weit abhanden gekommen. Ich kann da kaum noch etwas nachvollziehen.

Es war Rabbi Elimelech von Lejansk (1717 – 1786), der das Zaddik – Konzept erst richtig ausbaute und der Meinung war: "Wenn der Zaddik großartige Dinge tut, kleidet sich seine Seele im Ruach HaKodesh (eine Art Prophezeihung)".

Besonders der Chozeh (Seher) von Lublin, Rabbi Yaakov Yitzchak Horowitz (1745 – 1815) fügte dem chassidischen Zaddik – Konzept noch viele zusätzliche Aspekte hinzu. An dieser Stelle will ich nur einige wenige nennen, denn die gesamte Liste aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen.

Laut dem Chozeh steht der Zaddik über einem gewöhnlichen Juden (Am HaAretz). Ist es doch das Gebet des Zaddiks, welches den Meschiach bringen könnte und nur der Zaddik allein erhebt unsere materielle Welt in die oberen spirituellen Welten.

Das Peshis'cha – Movement unter Rabbi Yaakov Yitzchak von Przysucha (Jiddisch: Peshis'cha) stimmte dem Konzept des Chozeh (Sehers) von Lublin alles andere als zu. Stattdessen lehrte der Rabbi von Przysucha (1765 – 1814), dass die Aufgabe eines Zaddiks (eines Rebben) darin bestehe, anderen Juden zu verhelfen, selbst ein Zaddik zu werden. Keineswegs sollte der Rebbe die alleinige Zaddikfunktion übernehmen und sich nur auf Distanz zu anderen Juden halten.

Wenn ich mir den historischen Background ansehe und die heutigen Rebben betrachte, bin ich mir nicht sicher, ob die Zaddik – Konzepte nicht etwas übertrieben klingen. So mancher mag mich in dem Punkt für einen Litvak (litvischen Juden) halten, aber ich kann hier einfach nicht von meiner Meinung abweichen.
Zuerst einmal habe ich immer das Chabad – Konzept des Zaddiks in meinem Kopf. Wenn ich hier Chabad sage, dann meine ich damit deren Gründer Rabbi Schneur Zalman von Liadi (1745 - 1812) und nicht die heutigen Meschiach – Fraktionen der Gruppe.
In seinem Buch "Tanya" definiert Rabbi Schneur Zalman den Zaddik als eine Person ohne jegliche Yetzer HaRah (die negative Seite in einem jeden von uns). Ein Konzept Rabbi Schneur Zalmans, welches ich besonders mag.

Obwohl viele verschiedene Ideen darüber bestehen, wie denn nun ein Zaddik zu sein hat, frage ich mich immer wieder, ob die Zaddikim, die Rebben der heutigen chassidischen Dynastien, wirkliche alle Zaddikim sind und ihre Yetzer HaRah überkommen haben. Ich bin manchmal recht altmodisch und wage zu behaupten, dass heutzutage die Zaddikim mehr als rar auf dieser Welt sind. Zu früheren Zeiten vor Hunderten oder einigen Tausend Jahren war mag dies noch anders gewesen sein. Kurz gesagt, in meinen Augen ist nicht jeder chassidische Rebbe automatisch gleichzusetzen mit einem Zaddik.

Um als ein Zaddik zu gelten, sollte eine Person über herausragende Eigenschaften verfügen und nicht diese Position einnehmen, weil sie ihm eben einmal so vererbt worden ist. Diejenigen, die mit den Schriften des Rabbi Yehoshua Heschel von Apta (1748 – 1825) vertraut sind, wissen, wie der Apter Rebbe einen Zaddik definiert. In seinem Buch "Ohev Israel" schreibt er, dass ein Zaddik sich diese hohe Position nicht alleine aussucht, sondern sie ihm vom Himmel gegeben wird.

Aber was ist mit all den chassidischen Rebben heute ? Haben sie wirklich ihre Position vom Himmel bekommen ? Einerseits schon, denn schließlich geschieht nichts auf der Welt ohne G – tt.

Viele der chassidischen Rebbes tun sicherlich großartige Dinge und halten die Mitzwot (Gesetze), aber sind sie deshalb automatisch Zaddikim ? Obwohl Rabbi Nachman von Breslov (1772 - 1810) sich selbst als "Zaddik HaDor – Als der Gerechte seiner Generation" proklamierte, predigte er dennoch einen weiteren Gedanken:
"Im Grunde genommen hat jeder das Zeug zum Zaddik. Er muß nur an sich arbeiten."

Für mich ist ein chassidischer Rebbe eher eine Authorität und eine Respektperson. Er kann eine herausragende Figur mit hervorragenden relig. Kenntnissen sein, was ihn jedoch für mich nicht unbedingt zu einem "Heiligen" macht. Eine Person mit großem Charisma, das ist alles. Ist das so schlimm ?

Ich sehe mich nicht einem speziellen Rebbe hinterherlaufen, der alles für mich entscheidet. Es gibt auch noch andere Meinungen und Leute bzw. Rabbis. Und der Chassid, mit dem ich sprach, sagte etwas Treffendes: "Was ist, wenn der Rebbe stirbt und Du seinen Nachfolger nicht magst ?"

Bei den chassidischen Tischen frage ich mich des öfteren schon, wo eigentlich G – tt ist. Die neben mir Stehenden sagen immer nur: "Der Rebbe, der Rebbe, der Rebbe." Übrigens geht mir dies genauso. Wir alle starren gemeinsam auf den Rebben.
Aber ist nicht G – tt wichtiger als der Rebbe ? Und wo bleibt er beim Tisch ? Chassidisch gesprochen verbindet uns der Rebbe mit G – tt. Aber andererseits können wir dies auch alleine und individuell tun, denn jeder Jude hat selbst eine jüdische Neschama (Seele).

Anscheinend ist es für solche Leute wie mich wirklich besser, sich keiner bestimmten Gruppe anzuschliessen und stattdessen ein Outsider zu bleiben. Ich könnte diesbezüglich keine definitive Entscheidung fällen, bewundere aber Leute, die dies können.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die monothesitischen Religionen sind viel zu weltlich, als daß man sie ernstnehmen könnte. Sie führen zu nichts als Fanatismus. Da sind mir die Ostasiaten viel lieber: Chinesen, Koreaner, Japaner.

Die Frage nach Gott ist eine Scheinfrage. Eine wirkliche Frage ist nur: Was kommt hinter dem eigenen Tod?

Für ein Leben in anderen Sphären ist die Annahme eines richtenden Gottes naiv und überflüssig: Jeder wird eines Tages sein eigener Richter sein (wie auch in der Bibel sinngemäß steht – das Karma sagt auch nichts anderes) – im Angesicht der Wahrheit wird man sich nicht verstellen können.

Lebe nach Deinem Gewissen, dann kannst Du nicht fehlen. Gruppierungen sind etwas für 'schwache' Menschen.

Ein zufälliger Besucher
불키

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Wenn Du nicht weisst woher Du kommst, dann weisst Du auch nicht, wohin Du gehst !
Von daher ist G - tt ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste, Faktor !

Zum Richten:
Also ich kann die Male kaum zaehlen, in denen G - tt richtet. Wir sind von Ihm erschaffen worden, weil jeder von uns eine bestimmte und individuelle Aufgabe in dieser Welt hat. Allein schon deswegen ist das G - ttesgericht ueber jeden von uns mit eingeschlossen.

Anonym hat gesagt…

Kommen drei blinde Brüder zu einem friedlich grasenden Elephanten.
„Oh weh!“ entfährt es dem ersten erschrocken, dessen Hand den Rüssel erfaßt hat: „Eine große Schlange! Lauft Brüder, bevor sie auch euch erwürgt!“
Der zweite hat einen Stoßzahn umfaßt und stößt entsetzt aus: „Nein, ein Tiger! Lauft Brüder, bevor er auch euch auffrißt!“
Der dritte ist in die Nähe der Riesenohren geraten, spürt Luftwirbel und sagt: „Was lauft ihr? Es ist bloß ein Vogel, der seine Flügel schwingt, ihr Narren!“

Schön, daß so viele Menschen noch oder schon wieder so sicher wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen. Es war einmal das außerordentlich Lobenswerte und die besondere Stärke des Judentums, vor dem ich großen Respekt habe, selbst das Unglaubliche zu denken – von der Vorstellung eines undurchschaubaren, vielleicht sinnlosen Universums (Tanach, Ketuvim: „Kohelet“) bis zur fast schon wieder tröstlichen Idee der Wiedergeburt (= Gilgul) im „Buch der Erleuchtung“ (Sefer HaBahir) von Nehunja Ben HaKana oder dem „Buch des Glanzes“(Sefer HaSohar) in der Kabbalah des Isaak Luria (1534 – 1572). Diese Vorstellung war später auch bei vielen Chassidim populär.
Davon ist man heutzutage weit entfernt: Die Gläubigen der ‚richtigen’, also monotheistischen Religionen und Gruppierungen, wissen einfach wieder alles genau so sicher wie die Anhänger der ‚richtigen’ (=materialistischen) Wissenschaften – wie die Blinden, die dem grasenden Elephanten begegnen und narrensicher ihre Wahrheiten verkünden. Nirgendwo mehr Offenheit, Zweifel gelten als verdächtig, eigene Spekulationen sind unerwünscht, weil nicht ‚parteikonform’. Das ist die wahre Tragödie unserer Epoche, die erst ihren dunklen Anfang nimmt. Es gibt heute weder einen Isaak (Jitsak) Luria mehr noch einen Stauferkönig wie Friedrich II., genannt STUPOR MUNDI – der das ERSTAUNEN DER WELT hervorrief (1194 – 1250). Den einen würde man heute in Mea Shearim wohl steinigen, den anderen sicher auf einem römischen Scheiterhaufen verbrennen.

Astronomische Weisheit: „Heute glauben viele, mit ihren Teleskopen weiter zu sehen als ihre Väter – aber ein Punkt bleibt ein Punkt, wie sehr man ihn auch vergrößert.“


불키
Standort: 만수코 – Mandschuko
גוי ה
Leider vertauscht mein Mac die Leserichtung der hebräischen Lettern fast immer (weil ich sie nicht fix installiert habe wie meine sino-asiatischen Zeichen). Die vier Buchstaben (Radikale?) sollen natürlich heißen: „HaGoi“.

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Kommt darauf an, was Du unter Offenheit verstehst.
Falls damit die phantasievolle Kabbalah des Mittelalters gemeint sein sollte, stimme ich dem zu. Leider geht es heute zuviel um halachische Dogmen und diverse spielvolle kabbalistische Ideen kommen heutzutage nicht mehr vor. Zu sehr stuetzt man sich auf das Alte.

Doch auf das "Alte" wie Luria, Zohar, Joseph Karo, Gikatilla, etc. stuerzt man sich umso mehr. Obwohl es aeusserlich erscheinen mag, dass davon nichts mehr uebrig ist, ist genau das Gegenteil der Fall. Nur nicht allzu oeffentlich.