Donnerstag, 24. Dezember 2009

"I have never promised you a Rose Garden" - Chassidische Rebellinnen




B"H

Tel Aviv ist wie New York !
Eine für fast alles offene Großstadt. Nicht so riesig wie New York, aber die Stadt bietet genügend Platz sich zu verstecken.
Israels Chozrei Be'She'ela (geborene relig. Juden, die im späteren Lebensverlauf säkuler werden) flüchten, wenn, dann nach Tel Aviv, um sich dort ein neues "freies" Leben aufzubauen.

Religiöse Ausrichtungen aller Art lieben es positive Kommentare zur Masse jener abzulegen, welche im Lebensverlauf relig. werden (Baalei Teschuva), doch vergisst man nicht selten, auf die Anzahl derer einzugehen, welche die relig. fromme Orthodoxie verlassen. Wobei der Prozentsatz bei Letzteren wesentlich geringer liegt und man bedenken sollte, dass Aussteiger nun nicht zum Konservativen - oder Reformjudentum überlaufen. Sie nehmen einen säkuleren Lebensstil an und auch hierbei kommt man nicht drumherum zu unterscheiden, in wie weit der Lebensstil säkuler und dann wieder streng orthodox ist. Es entkommt sich nicht eben mal so leicht … Die relig. Vergangenheit wird ein Aussteiger niemals los werden.

Ich war selbst einmal so richtig relig. und näherte mich einer "extremen" chassidischen Gruppe an. Letzten Ende jedoch scheiterte ich an den zu hohen Erwartungen der Gesellschaft sowie meiner selbst. Ich verliess die haredische Gesellschaft und seither durchlief ich sämtliche relig. Launen in meinem Leben; nicht selten mit dem Ziel zurückzukehren.





Über längere Zeit hinweg verfolge ich per Internet die Stories dreier Frauen, die aus der chassidischen Gesellschaft ausgestiegen sind und die seither säkuler leben. Dabei tut sich zwangsläufig die Frage auf, inwieweit man denn nun tatsächlich ohne die Religion leben kann, wenn man jahrelang auf der Yeshiva lernte bzw. relig. aufwuchs. Alles so einfach abstreifen funktioniert nicht. Und wie ist das mit den Schuldgefühlen gegenüber sich selbst, G - tt, der Gesellschaft und der eigenen Familie ?

Ich las eine Menge über Gitty Grunwald aus New York, welche die Chassidut Satmar in Kiryat Yoel verliess. Gleichfalls halte mich mich auf dem Laufenden über Baile Glauber, ebenso ein Satmar - Aussteiger aus New York, die für ihren Traum, Police Officer zu werden, einen hohen Preis zahlte. In Israel ist vor allem der Fall der Sarah Einfeld äußerst bekannt. Sie verliess die Chassidut Gur und zog nach Tel Aviv.

Gitty Grunwald wurde im Sommer 2008 durch einen Artikel im "New York Magazine" berühmt. Heute ist Gitty abhanden gekommen und niemand scheint zu wissen, was aus ihr geworden ist. Mehr oder weniger als Hippie und instabil bekannt, erfreut sich Gitty nicht mehr einstigen der Popularität. Zwischenzeitlich erkannte zuviele ihren wahren Chaoscharakter.

Baile Glauber wurde in die Chassidut Satmar hineingeboren, war verheiratet und hat aus der Ehe ein Kind, welches beim Vater lebt. Baile träumte von einem "freien" Leben und einem Job bei der Polizei. Sie verliess die strengen Satmarer und fand tatsächlich einen Job bei der Polizei im Großraum New Jersey. Zumindest bis vor ca. drei Wochen, denn dann wurde sie bis auf Weiteres suspendiert und eine Festanstellung ist mehr als fraglich.
Schuld daran scheint sie selbst zu sein, denn wegen "übertriebener" Antisemitismusbeschwerden den Kollegen gegenüber machte sich Baile nicht gerade beliebt. Sie gab zu, schon im frügen Teeniealter gegen ihre Gruppe rebelliert zu haben.

Der bekannteste Fall in Israel ist der von Sarah Einfeld (ehemals GUR). Sie entflog der Gerrer Gemeinde in Ashdod und siedelte nach Tel Aviv über. Schon vor zwei Jahren begann sie ihren Blog, in welchem sie von ihren Gefühle berichtet. Kurzgeschichten zur chassidischen Gesellschaft verfasst sie und hiermit findet sie eine breitgefächerte Leserschaft: Säkulere Juden, aber auch Haredim.
Generell schreibt Sarah über die teilweise benachteiligten Frauen in der chassidischen Gesellschaft. Ständig schwanger, nur von ihren Kindern redend und daheim am Herd stehend. Das Leben beinhalte mehr als nur einem Rebben zu folgen und die Takanot (interne Gruppengesetze) zu bewahren. Viel zu sehr achten diese Frauen auf die Gesellschaftsanforderungen indem sie einfach den Mund halten und tun, was von ihnen verlangt wird. Männer reden von der perfekten "Eshet Chayil" (Hausfrau, treusorgende Mutter) und wollen damit ganz einfach andeuten, dass die Frau gefälligst die Klappe zu halten hat. Um es auf einen Nenner zu bringen: Schnauze halten und tun, was der Rebbe anordnet. Diese Frauen stecken mittendrin in einem emotionalen und psychischen Knast und denken noch nicht einmal an ein richtiges LEBEN. Träume und Freude.

Ich finde es erstaunlich, dass Gitty Grunwald sowie Sarah Einfeld demselben Muster folgen: Beide begannen in ihrer Jugend zu rebellieren, beide verliessen letztendlich die Gesellschaft und sobald sie ihre "Freiheit" fanden, flippten sie aus. Sie wurden säkuler. Sarah liess sich tätowieren (lt. Thora ist dies verboten); sie ißt am Yom Kippur, doch kocht für den Schabbat vor.
Gitty liess sich halbnackt ablichten und das "New York Magazine" brachte eine Slideshow auf seiner Site. Auch Sarah Einfeld ist halbnackt in der "Yediot Acharonot" zu sehen. Im Oktober stellte die israelische Tageszeitung einen Artikel mit Sarahs Erlebnissen ins Massenblatt.

Es scheint gerade so als flippten nicht wenige ehemalige Haredim völlig aus, sobald sie den frommen Gesellschaftskreisen Ade sagen. Sie geniessen die plötzlichee persönliche Freiheit. Sie essen, was sie wollen und Tel Aviv bietet derlei Leuten ein wahres Eldorado. Die liberale Stadt schreibt fast niemandem etwas vor.

Diese drei Frauen stehen für eine haredische Minderheit den Traum der Selbstverwirklichung auszuleben. "Its my Life" und ich brauche von nun an keinen Rebben mehr um irgendeine Erlaubnis zu bitten. Man wird nicht mehr mit jemandem im Alter von 18 verheiratet und lebt wie gefangen in der Gesellschaft. Diese Frauen versuchen, ihre Gefühle auszudrücken (nicht zu unterdrücken) und ihre Fähigkeiten zu nutzen. Wieso sollte man als Frau keinen Führerschein haben, fragte sich Sarah Einfeld und machte diesen in Tel Aviv. Warum ist einer Frau alles untersagt und ein Mann darf machen was er will ?

Sarah Einfelds Blog wird von nicht wenigen Haredim gelesen; männlich und weiblich. Einige von ihnen tun dies aus purer Neugier, denn man will wissen, wie es ihr so ergeht. Nicht wenige erfreuen sich über die Chassidut Gur zu ergötzen, denn Sarah veröffentlichte deren geheimgehaltene Sextakanot. Sex nur zweimal im Monat und ohne Vorspiel. Den Frauen ist es untersagt, mit anderen Frauen über ihre Eheangelegenheiten zu reden und so bleibt jede Frau mit ihren Emotionen allein.

Gewisse Verhaltensmuster wiederholen sich immer wieder. Eine junge Frau rebelliert, sie verlassen die haredische Gesellschaft und versuchen akribisch den verpassten "Spass" im Leben wie besessen nachzuholen. Sie saugen alles nur so auf, um sich von ihrem ehemaligen Leben abzusetzen. Am Ende werden sie erkennen, dass dies nicht so einfach ist, wie anfangs gedacht. Wie ich sagte: Man geht nicht so einfach und legt sein vorheriges Leben ab wie ein altes ausrangiertes Kleidungsstück. Die eigenen Gedanken drehen sich stets um die Religion, G - tt. Beginnend beim Aufstehen, wenn gebetet werden muss / sollte. Beim Essen. Soll auf die Segen vorher verzichten werden oder ertappt man sich nicht immer wieder dabei, wie man den Segen automatisch sagt ?

Tatsache ist, dass chassidische Gruppen bis heute nicht gelernt haben, mit dem internen Problem umzugehen. Nach wie vor wird zu sehr auf strenge Massregelungen wert gelegt, anstatt psychologisch hilfreich zur Seite zu stehen. Die Angst, dass rebellische Frauen andere in der Gruppe mit sich ziehen ist enorm.

Rabbi Samson Raphael Hirsch schrieb vor langer Zeit einen geradezu reformierenden Thorakommentar zur Parashat Toldot. Er regt den Gedanken an, dass, wenn Yitzchak und Rivka (Rebekka) den rebellischen Esav anders erzogen hätten, er sich wohl wenig als Krimineller entpuppte. Den wilden Esav aber zwangen sie stillzusitzen und Thora zu lernen. Genauso verhält es sich heutzutage mit Teilen der relig. Gesellschaft. Nicht jeder ist zum Lernen gemacht und es gibt halt energiegeladene hyperaktive Haredim, die besser dran wären, wenn sie eine entsprechende ausfüllende berufliche Aufgabe fänden, anstatt frustriert irgendwo zu sitzen. Bis heute wird das Problem der Rebellion zu sehr verdrängt und die Rabbiner kennen kaum etwas anders als rigorose Bestrafung. Die Familien reagieren mit Drohgebärden, denn man sieht sich am Abgrund der Gesellschaft. Die Nachbarn, die Schulen der Geschwister, was werden die wohl sagen ?


Sarah Einfeld in einem Dokumentarfilm. Beim Blogschreiben sowie einer Darstellung der haredischen Busse in Jerusalem.



Jeder Mensch geht mit seinen Problemen im Leben anders um. Einige ziehen es vor trotz aller Leiden nicht aus der Gesellschaft auszubrechen, andere machen auf Lebensumstellung. Ein neues Leben soll her. Eine dritte Gruppe kehrt nach einem zeitweiligen Ausbruch wieder in die haredische Gesellschaft zurück.

Es ist offensichtlich, dass chassidische Gruppen vor einem "Virus" angst haben, der sich schlimmstenfalls durch die gesamte Gruppen ziehen könnte. Der Rebell wird isoliert, damit er keine weiteren Gruppenmitglieder mit seinem abwegigen Gedankengut "infiziert".
Es wird immer Menschen geben, die sich in ihrer Gesellschaft nicht zurechtfinden. Eine perfekte Lösung wäre sicherlich ein Kompromiss beider Seiten. Manchmal gelingt es, diesen zu finden. Falls nicht, dann erweist sich ein Ausstieg (auf Lebenszeit) als unausweichlich.


Selbsterlebtes zum Thema:

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo!

Interessanter Beitrag, danke!

Kleiner Hinweis: es heißt "säkular", nicht "säkuler"! :-)

Anonym hat gesagt…

Ja, ein Neuanfang kann einen ganz schön aus der Bahn werfen, dies bringt natürlich Probleme mit sich und eine helfende Hand tut in den meisten Fällen gut und wenn eines Tages diese Frauen wieder umkehren zu ihren religiösen Wurzel, sollten sie auch wieder freundlich aufgenommen werden. Trotzdem möchte ich nicht ständig wieder von Neuem anfangen, sei es in einer Beziehung oder im Beruf. Ich bewundere sehr diesen Mut mancher Frauen, trotz aller Widrigkeiten ihr eigenes Leben zu leben und wenn sie es denn geschafft haben, umso mehr. Also immer mit gutem Beispiel voran, auch wenn es mal nicht gleich funktioniert. Meine Unterstützung haben diese Frauen. Guter Vortrag!

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Mit dem Wort "Saekuler" oder "Saekular" scheine ich im Deutschen seit Jahren meine Probleme zu haben.:-)))) Da ist mir das Englische "secular" lieber.:-)


Falls eine der Frauen zurueckkehren wurde, was ich nicht glaube, dann waere nichts mehr so wie frueher. Mit dem Makel des Abhauens muessten sie leben.

Alle drei zahlten den Preis, ihre Kinder in der chassidischen Gruppen zuruecklassen zu muessen.
Gitty Grunwald sowieso, denn bei ihr wurden im Blut Drogenreste gefunden. Wie es ihr aktuell geht, weiss ich leider nicht. Ihr Ex heiratete wieder und die Tochter Esther Miriam blieb beim Mann.

Bei Baile Glauber blieb der kleine Sohn ebenso beim Ex und Sarah Einfeld liess zwei kleine Kinder beim Ex zurueck.

Wenn man sich ein neues Leben aufbaut und irgendwo, wie in Tel Aviv, neu ankommt, ohne Wohnung und Job dasteht, sind Kinder nicht gerade eine Hilfe. Das Jugendamt will ein Zuhause sehen fuer die Kinder. Allen drei Frauen sprach ein Gericht ein Besuchsrecht der Kinder zu.

Anonym hat gesagt…

Ja, eigentlich schade das Gitty Drogen nahm, trotzdem geht das Leben weiter und ich wünsche ihr, dass sie sich wiederfindet in einem lebenswerteren Leben. So mancher, Mann oder Frau, kommt erst durch Erfahrung mit sich ins Reine. Kinder leiden ja am meisten unter der Scheidung, da brauchen wir uns nichts vormachen. Eltern sollten deshalb am gleichen Strang ziehen und keine Scheidung bevorzugen, sei es Mann oder Frau.

Miriam, Du würdest Dich in der Frauenarbeit gutmachen!

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Ich weiss nicht, denn ich habe genuegend mit mir selber zu tun. :-)