B"H
Gleich vorweg: Mein Purim war hervorragend, obwohl ich gar nicht unbedingt der großartige Purim - Typ bin.
Seit vergangenem Freitag goss es in Jerusalem in Strömen und der Guß setzte sich auch am Sonntag abend fort. So verbrachte ich das Lesen der Megillath Esther (Buch Esther) im Stadtteil Nachlaot (wo ich arbeite und wohne, wenn ich in Jerusalem weile). Nichts war es mit "nach Mea Shearim gehen" und so. Letztendlich landete ich in der (Shlomo) Carlebach Synagoge "Kol Rina". Eine Synagoge, die von vielen amerikanischen Olim besucht werden soll. Dies erwies sich zumindest am Sonntag abend nicht unbedingt als richtig, denn die Mehrheit der weiblichen Wesen auf der Frauenseite waren junge Israelinnen.
Das freakige Carlebach Hippietum ist alles andere als mein Ding, doch die Megillahlesung war einmalig. Der "Baal Koreh" verlas sie perfekt und mit Stimmen verziert. Achaschwerosch, Charvona oder Mordechai bekamen Männerstimmen und Vaschti, Esther sowie Seresch wurden bei Lesen mit Frauenstimmen belegt. Eine tolle Idee !
So wechselte der Baal Koreh von Stimme zu Stimme und dies gelang ihm perfekt.
Das gestrige Jerusalemer "Shushan Purim Essen" verbrachte ich teilweise bei den Machlises. Dort war Highlife, doch traf ich auf alte Bekannte, die ich schon monatelang nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Am Ende (vor Maariv) sassen wir wenigen Verbliebenen am Tisch des Rabbis und lauschten seinen Stories. Unter anderem die des Linschitzer Rebben, der die Purimspenden an die Armen immer erst einen Tag nach Purim austeilte. Als man ihn nach dem Grund fragte, antwortete der Linschitzer Rebbe, dass an Purim alle die Armen mit Geld beglücken, doch wer tut das schon einen Tag nach Purim ?
Gegen 18.30 Uhr machte ich mich ins nicht allzu weit entfernte haredische (ultra - orthodoxe) Mea Shearim auf. "Shushan Purim" ist in Mea Shearim mitunter DIE Attraktion und viele Synagogen sind offen und die chassidischen Gruppen feiern wild.
Überflüssig zu sagen, dass Tausende auf den Beinen waren. Die Besucherzahl von außerhalb hielt sich erstaunlich in Grenzen. Eine offenbar nichtjüdische blonde Photographin krebste zwar sowohl als auch in "Kol Rina" als auch bei den Machlises herum, doch in Mea Shearim (wo ich sie ebenso sah) machte sie keine besondere Figur, denn sie begriff nicht, dass die Action erst später losgeht. Bleibt nur zu hoffen, dass wir ihre Photos nicht auf christlichen Sites zusammen mit dämlichen Bemerkungen zu sehen bekommen.
Die Chassidut Toldot Aharon begrenzt die Besucherzahl, denn es nimmt überhand und es bleibt kaum Platz für die eigenen Mitglieder; trotz erweiterter Synagoge. Hier war dann auch das Photographieren strengstens untersagt und man hatte ein privates Wachunternehmen vor die Eingänge platziert. Fremde sollten draußen bleiben, doch nach einigen Diskussionen mit einem der Guards wurde ich eingelassen. Gerade richtig um mitzuverfolgen wie ein total betrunkener Chassid auf den Tisch des Rebben David Kahn krabbeln wollte. Der Chassid wurde zurückgehalten und hätte den Vorstoss eh kaum geschafft.
Bei den Toldot Aharon war es übervoll und die Frauen auf der Empore drückten sich die Nasen an der Glasmechitzah (Trennwand) platt.
Meine nächste Station war die Chassidut Slonim gleich um die Ecke. Dort allerdings schienen nur die Männer zu feiern. Rein in den Mea Shearim Markt und zur Toldot Avraham Yitzchak. Resultat: Übervoll und keine Chance irgendetwas zu sehen.
Weiter durch den Markt an eine der zwei Synagogen der "Neturei Karta" vorbei. Dort war tote Hose und die "Torah ve'Yirah" war dunkel.
Die Synagoge einer der zwei Neturei Karta Gruppen in Mea Shearim
Als ich nach einigen Minuten bei der Chassidut Karlin - Stolin (die älteste chassidische Gruppe, noch vor Chabad in Litauen gegründet) ankam, stellte sich heraus, dass man dort erst später zu feiern beginnen wollte. Also ging ich nebendran zur Chassidut Kretchnif. Eine kleinere Gruppe mit einem urgemütlichen Tisch des Rebben. Vor dem eigentlichen Tisch, der gegen 21.00 Uhr beginnen sollte, wurde unten im Erdgeschoss schon gefeiert. Die Chassidim samt Rebbe befanden sich in einem kleineren Raum und die Frauen auf gleicher Höhe nebendran. Ein blauer Vorhang war als Mechitzah (Trennwand) gedacht gewesen, doch wurde der an beiden Enden von den Frauen so verschoben, sodass wir frei Sicht zu den Männern gleich vor uns hatten. Niemand beschwerte sich, denn die Kretchnifer Rebbitzen verschob den Vorhang und somit war alles "offiziell".
Immer wird von den großen bekannten chassidischen Gruppen wie Toldot Aharon oder Karlin - Stolin gesprochen, doch viele kleinere wie Lelov oder Kretchnif fallen durch das Raster. Dabei ist die Kretchnifer Rebbitzen eine extrem nette Frau und einige Male schon sprachen wir zusammen. Auch gestern abend wieder als sie mir berichtete, dass ihr Mann (der Rebbe), nachdem er vor ca. 1,5 Jahren bei einem Verkehrsunfall verletzt worden war, nicht mehr jeden Schabbat einen seiner Tische gibt. Sie lud mich zum später stattfindenden Tisch ein, doch machte ich mich nach einer Stunde im Erdgeschoss auf nach Karlin - Stolin.
Zu Kretchnif:
Der Kretchnifer Rebbe (Jerusalem) hat eine ganz besondere Art zu feiern und zu tanzen und wer ihm zusieht, der wird definitv ziemlich "spiritual uplifted". Viele Männer traten vor ihn und bekamen einen Segen. Zwischendurch tanzte und sang der Rebbe. Ein paar Chassidim tanzten vor ihm auf dem Tisch und die Stimmung war super.
Als ich nebenan bei den Karlinern ankam, sah ich, wie mal wieder draußen vor der Synagoge im Zelt gefeiert wurde. Die Frauen standen daneben oder oben auf der Dachterrasse. Ich war kaum zwei Minuten dort als hinter uns fast mit quietschenden Reifen ein grauer Crysler hielt. Ein paar Chassidim sprangen heraus und rannten zum Festzelt. Einen von ihnen erkannte ich als den Karlin - Stoliner Rebben. So nahe (ca. zwei Meter Entfernung) hatte ich nur einmal den Rebben der Chassidut Ruzhin - Boyan zu Gesicht bekommen. Und einmal den Kretchnifer Rebben nahe Mea Shearim als er mit seinen Chassidim zufuss unterwegs war.
Mein letzter Stopp galt der Chassidut Satmar gegenüber Karlin. In der Vergangenheit hegte ich viele private Kontakte zu Satmar. Das war vor Jahren und noch vor der offiziellen Spaltung und die Ernennung zweier Rebben. Die Kontakte schliefen etwas ein, doch gestern traf ich auf ein bekanntes Gesicht in der Satmarer Synagoge.
Anzumerken sei, dass es sich um die Synagoge des Williamsburgher (New York) Rebben Zalman Leib Teitelbaum handelte. In den USA führen die zwei Satmerer Gruppen nicht selten Privatkriege aus, nachdem sie sich wegen interner Meinungsverschieden spalteten. Zwei Brüder kämpften nach dem Tode des Vaters um die Rebbeposition und keiner von beiden gab nach. Somit ist Satmar nun in zwei Hälften gespalten. Den Rebben der größeren Hälfte, Rebbe Aharon Teitelbaum aus Kiryat Yoel bei New York, sah ich im November 2008 bei einem Satmarer Tisch in Bnei Brak (bei Tel Aviv).
In Satmar ende ich immer auf einer Synagogenbank stehend und so auch gestern wieder. Wer durch die Mechitzah schauen will wenn der Andrang rieisg ist, der stelle sich auf die Bank. Bei Satmar war es voll und ich war, wie schon bei Kretchnif, die einzige von auswärts. Man sagte mir auf Hebräisch (die antizionistischen Satmarer sprechen in der Regel Jiddisch, denn Hebräisch ist die "heilige Sprache" aus dem Gebet und wenn der Meschiach eintrifft). In der Regel scheuen sich die israelischen Satmarer nicht vor dem Hebräischen, die amerikanischen Satmarer hingegen eher.
Bei Satmar gab es freien Mineralwasserausschank und die besten chassidischen Melodien. Unten tanzten die Männer und ein Chassid tanzte auf dem Tisch, wobei er unentwegt Weinbecher austeilte. Wir Frauen bekamen davon nichts und uns blieb das Mineralwasser.
Ich hätte noch viele Stunden herumwandern können, doch ging ich heim und bald ins Bett. Platt vom vielen Stehen und auf den letzten Tag von Pessach wartend, wenn einige chassidische Gruppen wieder feiern.
Purim in Mea Shearim war grandios, wenn man von einigen Besoffenen und den nervigen Knaller absieht.
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