Sonntag, 25. Januar 2009

Vergessen zu leben ?

B"H

Es gibt Zeiten, da haut es mich die Fülle der Halachot (Gesetze) tatsächlich fast um. Vielleicht nicht einmal so sehr die Fülle, aber vielmehr die Schlußfolgerungen, die wir orthodoxen Juden ziehen. Schlußfolgerungen, bei denen ich oftmals nicht vollständig nachvollziehen kann, ob diese nun richtig oder falsch bzw. übertrieben sind. Manchmal hört sich einfach nur alles so unglaublich kompliziert, wenn nicht irrational an.

Nicht, dass G - tt uns ausschließlich nur mit rationalen Gesetzen ausstattete - das ist nicht, was ich meine und ich sollte besser die Begegenheit vom letzten Schabbat erklären, auf die ich hier hinaus will.

Ich war im Haus eines Rabbiners zum Essen und am Ende beteten wir, wie vorgeschrieben nach einem Mahl, welches Brot beinhaltet, das Birkat HaMazon (den Segen nach dem Mahl). Ich langte nach einem sich auf dem Tisch befindenden Bencher (Buch mit Gebeten und Liedern) und als ich danach fasste bemerkte ich zu spät, dass die Außenseite des Buches voll Sauce war. Anscheinend ein Unfall beim Essen.

Meine Hand war verschmiert und klebrig und um sie zu reinigen, fragte ich eine der Töchter des Rabbis nach einer Papierserviette.
Sie gab sie mir ohne zu Zögern.
Jedenfalls reichte die Serviette nicht aus, denn meine Hand klebte weiter. Ich hätte jetzt zuende beten und mir dann beim Verlassen des Hauses die Hände waschen können. Allerdings befanden sich mindestens 70 Gäste im Haus und ich erahnte schon im voraus das Gedränge beim Hinausgehen. Von daher bat ich eine andere der Töchter, die Serviette ganz einfach ein wenig nass zu machen, damit ich so meine Hand abreiben konnte. Die Tochter jedoch weigerte sich mit der Bemerkung, dass sie nicht wisse, ob das am Schabbat erlaubt sei.


Soweit der besagte Zwischenfall und er mag völlig belanglos klingen. Ich habe noch nicht nachgeforscht, ob die Teenage - Tochter im Recht war oder nicht. In dem Moment war mir das irgendwie egal, denn das Einzige, was mir durch den Kopf ging war, wie Leute so besessen von der Halacha sein können.
Ohne Zweifel gab uns G - tt die Thora samt der Gesetze (schriftliche in der Thora sowie mündliche in späteren Mischna, welche Bestandteil des Talmud ist). Vielfach jedoch erscheint mir dass, was wir Menschen aus den Halachot machten, zu übertrieben. Eine Papierserviette am Schabbat nassmachen oder nicht ? Fällt das etwa unter "einweichen" und ist verboten am Schabbat ? Warum aber benutzen wir dann überhaupt Wischlappen oder Servietten am Schabbat ?

Es liegt mir fern, mich über die Tochter zu beschweren, dennoch aber meine ich, dass wir manchmal vor lauter Halachot vergessen haben, zu leben oder besser gesagt, das Leben zu geniessen. Deswegen, weil wir jedesmal bevor wir etwas beginnen, nachdenken, ob es erlaubt ist und falls wir uns nicht sicher sind, lassen wir es lieber. Auch hier keine Frage, denn G - tt beabsichtigt, dass wir Juden eine gewisse Moral und Disziplin einhalten. Genauso wie Nichtjuden mit den Sieben Noachidischen Gesetzen. Und viele Halachot dienen nun einmal dazu, einen sogenannten "Zaun" oder eine "Grenze" um das eigentliche Gesetz zu ziehen. Einen Zaun um den Ursprung setzen, damit wir erst gar nicht in Versuchung kommen. Zum Beispiel Stifte, Telefone, etc. vor Schabbatbeginn zu entfernen, damit wir dies nicht aus irgendeinem Grund benutzen. Wenn auch nur aus Versehen.

Andererseits erscheinen mir persönlich viele Vorschriften absolut irrational und dies soll, jetzt keine Ausrede für "unbequem" sein. Aus diesem Grund frage ich mich häufig, ob G - tt tatsächlich irgendwelche Roboter aus uns machen wollte und wir nicht doch vergessen haben zu leben bzw. das Leben zu geniessen ?

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

also ich denke, die Tochter hatte Recht. Das ist das berühmte Problem mit Sechita.

Aber ich nehme an, niemand hätte dir verboten, die Serviette selbst nass zu machen.

Wahrscheinlich war es ihr nur wichtig, einzuhalten was sie selbst gelernt hatte.

Sie hat vielleicht auch Gäste im Haus, die verlangen würden, dass sie das Licht auf- oder abdreht. Und da wärest ja auch du der Meinung, dass sie es am Shabbat oder yomtov nicht tun soll.

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Das mit dem Lichtausschalten haette ich verstanden, doch die Begebenheit mit der Serviette erscheint mit persoenlich zu uebertrieben. Wie ich in meinem engl. Blog schon sagte: "Immerhin trocknen oder wischen wir mit der Serviette am Schabbat auch andere Dinge. Spritzer auf dem Tisch vielleicht oder anderweitiges".

Anonym hat gesagt…

Es geht darum, dass die Tochter auch "Nein" sagen können muss.

In ihrem Haus gehen Leute von allen möglichen Backgrounds ein und aus, da kann es auch passieren, dass jemand ihr sagt, sie soll das Licht ein- oder ausschalten. Dann ist es wichtig, dass sie weiss, dass nicht jeder weiss, und nein sagen kann.

Schau, dir ist das mit der Handcreme und dem Zähneputzen auch übertrieben vorgekommen, dabei sind das basics.

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Es ging mir weniger um die Tochter als darum, das Uebermass auszudruecken, mit dem die urspruengliche Halacha interpretiert wird.
Jedenfalls erscheint mir vieles als Uebermass.