Mittwoch, 4. März 2009

Ein Single ist ein Nichts

B"H

Am vergangenen Schabbat aß ich in Mea Shearim (ultra - orthodoxer Stadtteil in Jerusalem) zu Mittag. Ich war bei einer chassidischen Familie eingeladen, die in einem der Hinterhöfe wohnt. Dort wo auch die Neturei Karta, die Toldot Aharon, Satmar, die Toldot Avraham Yitzchak sowie die Anhänger des Chatam Sofer zuhause sind.

Ich nahm eine Freundin mit und zu unser aller Überraschung waren wir fast allein mit der Gastgeberin. Sobald die Familie Gäste hat, wird die Sitzordnung nach Geschlechtern getrennt. Heißt, dass Männer und Frauen in getrennten Räumen sitzen. Die Mäner sitzen gleich in einer Eßecke neben der Eingangstüre und wir Frauen sassen dahinter im Wohnzimmer. Wenn der Hausherr am Schabbat Kiddusch (Segnung des Weines) macht, so hören wir Frauen dies nur, da wir ja im Wohnzimmer nebenan sitzen.
Ich kenne einige chassidische Frauen, welche die getrennte Sitzordnung (nur wenn Gäste im Haus sind) als einen Tikun (Seelenkorrektur) betrachten.

Wir waren mitten beim Essen als eine ältere Frau aus der Nachbarschaft hereinmarschierte. Sie stammte ursprünglich aus New Jersey lebt aber nun im gleichen Hinterhof wie meine Gastgeber. Die Dame stellte sich als Mitglied von Chabad (Lubawitsch) vor und ich war recht überrascht, denn normalerweise trifft man in der Gegend nicht gerade auf einen Lubawitscher. Obwohl die abstritt eine der Meschichisten (jene Chabadnikim, die glauben, ihr letzter Rebbe sei der Meschiach) zu sein, war uns klar, dass sie schwindelte. Vor allem dann als sie auch noch am Tisch den Meschichistensong "Yechi Adoneinu …" zu trällern begann. Hinterher nahm sie meine Freundin und mich mit zu sich in die Wohnung, um uns Bilder von ihrer zweiten Hochzeit (vor zwei Jahren) zu zeigen. Und was sah ich da frischgedruckt auf ihrem Tisch liegen ? Eine Ausgabe des Magazins "Beit Moshiach" von Lubawitsch.
Sie kann von Glück reden, dass ihre Nachbarn das noch nicht herausgefunden haben, sonst würden diese eine Stange Dynamit in ihrem Briefkasten platzieren.

Die Bewohner Mea Shearims sind extrem neugierig. So furchtbar neugierig, dass es mir schon teilweise richtig auf den Wecker geht. Sobald man sich näher mit den Frauen unterhält, glauben sie auch schon, einen zu besitzen. Dann transformiert man automatisch zum Informationssklaven. Erst hören sie gemächlich zu, um dann darauf auf einem herumzuhacken.

Und am letzten Schabbat wurde ich zu solch einem Hackopfer.
Da ich Anfang 40 und Single bin, wird selbstverständlich auf mir herumgehackt, denn in der haredischen (ultra - orthdox.) Gesellschaft ist derlei Tatsache einfach unvorstellbar. Geschieden oder verwitwet JA, aber Single ? Und somit hackten dann die 78 Jahre alte Lubawitscherin samt Gastgeberin (Anhängerin des Chatam Sofer) auf mir herum. Man stelle sich zwei alte Damen mit ihren verrückten Fragen einschließlich ihrer wilden Fantasie vor.
Die Männer nebendran schlossen sogar die Tür als die Lubawitscherin rief, G - tt habe mir eine Gebärmutter gegeben, damit ich diese auch benutze. Das Schließen der Tür bemerkte ich gar nicht, denn ich dachte, ich befände mich inmitten eines Traumes. Hier sassen zwei alte Damen aus Mea Shearim und redeten von Gebärmuttern und Gefühlen !

Die Lubawitscherin berichtete uns, dass die vor zwei Jahren zum zweiten Male geheiratet hatte. Ihr Gatte sei ein direkter Nachfahre des Chabad - Gründers Rabbi Shneur Zalman von Liadi gewesen. Zehn Tage nach der Hochzeit bekam der frischgebackene Gatte dann einen Herzinfarkt. "Kein Wunder !" - dachte ich mir.

Nicht alle Haredim sind so wie jene Bewohner Mea Shearims, aber gerade in der Nachbarschaft meiner Gastgeberin existiert keine Frau, die in meinem Alter Single ist. Als ich von einem Freund erzählte, aber dass mir die Zeit zur Ehe fehle, kamen die Ladies erst richtig in Schwung.

Sobald ich jemanden aus Mea Shearim treffe, werde augenblicklich zwei Themen diskutiert:
1. Warum ich immer noch Single bin und 2. Wieso ich nicht so religiös bin, wie ich eigentlich sein sollte bzw. in der Vergangenheit einmal war.

Egal, wo man hinhört; ob in Bnei Brak oder Mea Shearim, alles redet ständig nur von Schidduchim (Ehepartner finden) und Kindern. Zumindest hatte die Lubawitscherin nichts gegen mein Internet einzuwenden, denn laut dem letzten Rebben darf alles zur Keduscha (Heiligkeit) verwendet werden. Unsere Gastgeberin hingegen fiel fast vom Stuhl. Sie als Anhängerin einer Chatam Sofer Gruppe ist gegen jegliche Neuerungen im Leben. "Alles Neue ist schlecht und verboten", so der im Jahre 1839 verstorbene Rabbi Moshe Sofer. Nur die "alten traditionellen" Wege haben sich zeitlebens als richtig erwiesen.

Wie dem auch sei, die beiden Damen geben nicht auf und planen eine neue Attacke, mich auf die richtigen Pfade zu bringen. Sie wollen mich mit einer Deutschen bekannt machen, die da auch in ihrer Nachbarschaft wohne. Einen Polen habe sie geheiratet und beide seien Mitglied einer chassidischen Gruppe geworden. "Eine richtige Zaddekes (gerechte Frau)", schwärmten die Ladies und es sei schon ein starkes Stück, dass Leute von außen uns allen heutzutage erst den richtigen Weg zeigen müssen.

Ich geniesse die Besuche bei extremen chassidischen Gruppen sehr, doch irgendwann wird es mir zuviel und ich bin immer wieder froh, danach in der "normalen" Welt (in der unseren) abzutauchen. Der Gesellschaftsdruck, der Chatam Soifer, der Hinterhof … das ist einfach alles zuviel für mich. Vielleicht ist es sogar G - tt zuviel …

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Aber ich verstehe nicht ganz: du brichts doch auch ihre Intimsphäre, wenn du zu ihnen nach Hause gehst und dann auf dem Internet erzählst, was dort alles los war.

Und bis jetzt hatte ich verstanden, dass die Option "freund, aber nicht verheiratet" laut Halacha nicht offen steht. Aber vielleicht muss ich mich in diesem Gebiet ja noch weiterbilden...

Miriam Woelke hat gesagt…

B"H

Sie haben nicht unbedingt meine Intimsspaehre gebrochen, sondern ruehren das gleiche Thema immer wieder neu an.

Bezueglich Mea Shearim etc.:
Ich versuche die Namen der Leute, genaue Ortsangaben nicht zu nennen. Ich glaube, dass es wichtig ist, die allgemeine Atmosphaere wiederzuspiegeln und dem Leser vielleicht einen kleinen Einblick zu geben.