Donnerstag, 7. Februar 2008

Wie soll es weitergehen ?

B"H

Vorgeschichte:

Jeder wird in seinem Leben immer wieder mit etwas konfrontiert; bei mir sind es die Aussteiger aus der Haredi - Society (Aussteiger aus dem Ultra - Orthodoxen Judentum).

Immer wieder treffe ich unbewußt auf andere Aussteiger. Jemand meinte einmal lakonisch zu mir, dass dies vielleicht G-ttes Weg sei, mich auf die Haredi - Pfade zurückzuführen.
Seien es nun Satmar, Chabad, Belz oder Gur (Ger)....Ich habe die Gabe alles anzuziehen.

Mein Ausstieg aus der Haredi - Society war wesentlich einfacher als derer aus den genannten chassidischen Gruppen. Nicht als Haredi geboren, kam ich viel später dazu. Heißt, ich hatte vorher ein "normales" Leben mit Uni und Beruf, was den Ausstieg im Endeffekt erleichterte.


Ich kam irgendwie zufällig dazu. Durch meinen Job mit Haredim und die automatischen Haredi - Freunde. Dadurch kam ich in die Gesellschaft und nahm an vielen Shabbat - Essen bei Satmar in Mea Shearim teil. Zusätzlich ging ich noch auf eine litvishe (Midnagdim) Yeshiva. Die Umwelt ausserhalb dieses Zirkels, die sogenannte "normale" Welt, spielte keine Rolle mehr. Nicht, dass man sich als Haredi total abschottet, doch will man andererseits auch nicht mit gewissen Dingen in Berührung kommen, die einen dann stören. Unglücklich war ich nicht, eher das Gegenteil.

Doch wo kam der Bruch ?
Der Bruch kam nicht durch die Haredim, sondern durch mich selbst. Um perfekter zu sein, hatte ich mir selbst Zwänge auferlegt, was mich gewiß nicht zu einem Einzelfall macht. Andererseits vermisste ich sehr viele Dinge in meinem "neuen" Leben, wie Kino, Kreativität etc.

Ich war in zwei Personen gespalten, was mich zu einem Doppelleben zwang. Unter der Woche war ich toll religiös und dreimal pro Monat auch am Schabbat. Doch einmal pro Monat mußte ich entkommen. Entweder nach Tel Aviv in ein Hostel und Halligalli machen oder ich fuhr zu einer belgischen Freundin, welche damals in Kiryat Ekron (nahe Rehovot) wohnte. Francoise wußte schon immer, was auf sie zukam, wenn mein Besuch anstand. Erst einmal dauerte es mindestens zwei Stunden, bis ich meine religiöse Welt vergaß und mich auf etwas anderes konzentrieren konnte.

"So, what's up this time?" lautete immer ihre erste Frage.
Wenn ich am Schabbat wegfuhr, so zog ich mich meistens vorher um. Jeans und so. Dieses war immer eine kleine Prozedur, denn tat ich das doch heimlich. In unserer Nachbarschaft hätte ich nicht in Hose herumlaufen können.

Das ist das Schlimmste überhaupt, das eigene Gewissen. Schließlich rannte ich nicht vor der Religion davon, sondern einem Lebensstil, den ich wollte und doch nicht wollte.
Klar, ich hätte einfach meine Sachen packen und abhauen können, aber damals dachte ich, dass dies alles nur eine zeitweilige Krise sei, die jeder einmal durchmacht.

Das ganz große Problem ist, keinen Ansprechpartner zu haben. Mit wem kann man schon ueber soetwas reden ? Ein Chabad - Rabbi wollte mir helfen und wäre er damals nicht gerade nach New York geflogen, well, vielleicht wäre alles anders gekommen.
Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an mein Problem. Wieso konnten andere in dieser Gesellschaft leben und ich nicht ? Wieso schaffte ich es nicht ? Der Körper wollte, die Seele nicht.
Heute gibt es sehr viele Help - Groups diesbezüglich und viele Foren im Internet, doch damals vor genau zehn Jahren stand ich ziemlich alleine da. Zu den Nationalreligiösen wollte ich nicht entkommen, denn das wäre unter meiner Würde gewesen. Stattdessen stand ich eines morgens auf, zog eine schwarze Jeans an und schmiß meine Röcke, bis auf einen denn man weiß ja nie, in die Mülltonne. Die Nachbarn waren zuerst geschockt von meinem Anblick, doch gewöhnten sich dran. Und sie sprachen sogar noch mit mir.

In der Innenstadt hatte ich immer das Gefühl von allen angestarrt zu werden. Jeder müsse doch sehen, dass ich Haredi bin. Wieso sagt keiner was ?
Mein Freundeskreis reagierte überraschend positiv und ich habe nur ganz ganz wenige Freunde verloren. Ansonsten verurteilte niemand, sondern sah es als eine Krise.

Die Situation wurde täglich schlimmer, was fast zu einem kompletten Nervenzusammenbruch führte. Ich beschloß, einen schnellen Tapetenwechsel und fuhr innerhalb weniger Wochen nach Deutschland. Dort wollte ich einen klaren Kopf bekommen und Gedanken ordnen. Einfacher gesagt als getan, denn in Deutschland incl. bei jüdischen Gemeinden ist dieses Problem völlig unbekannt. So half ich mir irgendwie selbst, hielt Kontakt mit einem Rabbi in Jerusalem und anderen Freunden. Meine zweieinhalb Jahre Deutschland wurden religiös zu einer Farce, war ich doch mehr Haredi als ich eigentlich wahr haben wollte. Dennoch war es eine hilfreiche Zeit, in der ich sehr viel lernte.

Zurück in Israel hatte ich sofort wieder Kontakt zu meinen alten Freunden. Ich sah alles etwas distanzierter, was mir half.
Bei den Nationalreligiösen bin ich nach wie vor nicht und für das Kino habe ich leider kaum Zeit. Meinem Aussehen nach bin ich nichtreligiös, doch redet jemand einige Minuten mit mir, werde ich schon als Dossit (Haredi) gesehen. Mit den Haredim verbindet mich eine gemeinsame Sprache und wir verstehen uns sofort. Mit den Nationalreligiösen hatte ich soetwas nie. Komischerweise sind heute fast alle meine Freunde Haredim und wir kommen sehr gut miteinander aus, denn ich mache keine Show mehr.

Ein nichtreligiöser Kollege fragte mich vor einigen Monaten, ob ich mich nicht schuldig vor G-tt fühle, religiös zu sein, doch in Hose herumzulaufen. "Nein", antwortete ich.
Es gibt einen tollen Satz im Film "YENTL", der wahrscheinlich auf mich zutrifft: G-tt wird es verstehen, die Nachbarn nicht."

Eines aber trifft auf fast alle Aussteiger gleichermassen zu:
Fast alle bleiben religiös, wenn auch etwas mehr "light".

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Das Wichtigste für einen Aussteiger aus der haredischen (ultra - orthod.) Gesellschaft ist, dass er mit sich ins Reine kommt. Ich kann nicht hier und zugleich dort sein. Ich kann mich nicht in ein relig. Leben zwingen, nur um die Erwartungen meiner relig. Mitmenschen zu erfüllen. Stattdessen ist es ganz wichtig, sich zu akzeptieren, wie man ist.

Okay, man ist, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage, ein bestimmtes haredisches Leben zu führen.
Bin ich deswegen weniger Wert oder aussätzig ?
Soll ich trotzdem eine Show veranstalten und mich so anziehen, um auch mir selber etwas vorzumachen ?

Als ich nach der Krise nach Jerusalem zurückkam, entschied ich mich gegen die Show. Ich sage offen, dass ich zwar relig. bin, schließe bzw. identifiziere mich jedoch nicht eindeutig mit einer Gruppe. Außer natürlich mit der haredischen Gesellschaft als solches.

Nur wer lernt, sich so zu akzeptieren, kann zur Relgion wieder zurückfinden und sich einen neuen Weg, vielleicht etwas mehr "light" aufbauen. Nicht immer ist die Umwelt schuld, denn auch ich muß mich mögen und mit meine Gedanken ordnen und mich von den Schuldgefühlen befreien.

Das derzeitige Resultat mag sein, dass ich persönlich in einer Gesellschaftsmitte oder Identitätsmitte hänge. Schließlich bin ich weder bei den Haredim noch irgendwo anders angekommen. Manchmal jedoch ist dieser Zustand gar nicht so schlecht und Hilfe findet man gerade bei denjenigen, welche denselben Problemen ins Auge sehen. Und das sind nicht so wenige wie man anfangs vielleicht meint.

Andererseits ist der Grund, warum ich überwiegend über die jüdische Religion schreibe ganz klar auch eine Suche auf dem Weg zurück. Nur kenne ich diesesmal die Limits und renne nicht direkt darauf zu. Zumindest hoffe ich das. Ein Weg zurück ist es aber ganz sicher.

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