Sonntag, 6. Juli 2008

Bnei Brak – Die andere chassidische Welt

B"H

Es verirren sich wahrlich nicht viele nichtjüdische Touristen in die haredische (ultra – orthod.) Stadt Bnei Brak bei Tel Aviv. Eigentlich gibt es auch nichts zu sehen und derjenige, der die Stadt besucht ist meist jüdisch – relig. oder interessiert sich für die israelische Niederlassung der Coca Cola Produktion. Obwohl einige Säkulere sowie Nationalreligiöse leben auch in Bnei Brak. Die Mehrheit der Bevölkerung jedoch ist haredisch und die Mehrheit der Mehrheit ist litvisch – haredisch. Die Litvischen besetzen fast die ganze Stadt und viele von ihnen tummeln sich in ihren Yeshivot (u.a. in Ponibezh und Chazon Ish). Wer sich hingegen für die chassidischen Gebiete interessiert, nun, der muß etwas suchen. Hat man sie aber erst einmal gefunden, dann sind alle in wenigen Straßen leicht zu lokalisieren.

Etwas mehr als eine Stunde vor Schabbatbeginn stand ich am Freitag abend in der Hauptgeschäftsstraße von Bnei Brak, der Rabbi Akivah, und wußte nicht so recht wohin. Ich hatte absolut keine Ahnung, wo genau ich nun die Chassidim ausfindig machen sollte, und begann erst einmal, die Rabbi Akivah hinaufzulaufen. Unterwegs fragte ich eine Frau und eine Beit Yaakov – Schülerin (von einer haredischen Schule), wo ich denn den Stadtteil Kiryat Vishnitz finde. Die Vishnitzer Chassidim sind in der Stadt dermaßen verbreitet, dass sie sogar ihr eigenen Stadtteil haben.

"Wow, weit weg. Da mußt Du einen Bus nehmen; bis Chazon Ish und dann frag Dich durch", so lauteten die Antworten, die ich bekam.

Ich nahm keinen Bus, sondern beschloß, soviel von Bnei Brak zu sehen wie nur möglich. Und so machte ich mich zufuss auf den Weg. Nicht weit entfernt traf ich auf die erste Synagoge. Die der chassidschen Gruppe Alexander. Bis vor dem Holocaust war die Chassidut Alexander eine der blühenden polnischen chassidischen Gruppen gewesen. Nach dem Holocaust jedoch gab es kaum noch Chassidim und irgendwann beschloß man, sich der großen "Schwester" Gur (Jiddisch: Ger) anzuschliessen. Heute findet man Alexander überwiegend in Bnei Brak und da sie eine Art Teil von Gur sind, kenne ich ihre Politik gegenüber Frauen nicht. Ob sie Frauen zu ihrem chassidischen Tisch zulassen, denn Gur tut dies als einzige Gruppe nicht. Nach Alexander werde ich ein anderes Mal gehen, denn sie liegen etwas weiter von dem Rest der chassidischen Gruppen der Stadt entfernt.

Nachdem ich fast die gesamte Rabbi Akivah hinaufgelaufen war, sah ich rechts eine Einbiegung, welche Chazon Ish heißt. Ich bog ein und befragte sogleich eine Frau nach Kiryat Vishnitz. "Ich bin von Vishnitz", sagte sie und beschrieb mir sofort den Weg. Ich ging einige Meter weiter und sah sofort die Synagogen der chassidischen Gruppen "Dushinsky", "Bobov" sowie "Seret – Vishnitz". Fast genau gegenüber von ihnen befinden sich die Satmarer mit einer riesigen Synagoge und ihrem Wohngebiet einschließlich ihrer eigene kleinen Läden (u.a. Makolet Satmar).

Kurz darauf stößt man auf die "Aschlag – Synagoge" (einer der früheren Aschlag – Rabbis schrieb den ZOHAR – Kommentar "HaSulam"). Mein erklärtes Ziel jedoch waren die Schomrei Emunim, die Ursprungsgruppe der Toldot Aharon sowie die Chassidut Sadigora (Sadigura). Der Gründer und derzeitige Rebbe Avraham Chaim Roth ist der Sohn des Toldot Aharon Gründers Rebbe Aharon Roth.

Die Chazon Ish Street ist endlos lang und in ihr findet man unzählige Synagogen. In den Seitenstraßen findet man sogar einige litvische Synagogen. Und nun stand ich vor einem Dilemma. In welche der vielen Synagogen sollte ich nun zum abendlichen Schabbatservice gehen ? Selbst Breslov hatte ich gefunden.

Ich entschloß mich, die Schomrei Emunim – Synagoge zu finden und dorthin zu gehen. Endlich fand ich sie gleich neben der Raschi Street und man kann es kaum glauben. Die Frontseite des Schomrei Emunim – Gebäudes ist mit Musikinstrumenten behängt. Schaut ein wenig hippiemäßig aus, aber es ist einmal etwas anderes im sonst so angepassten Bnei Brak. Ich traf auf einen der Chassidim und er berichtete, dass die Frauen der Gruppe nicht den Brauch haben, am Freitag abend die Synagoge zu besuchen. Wie bei vielen anderen chassidischen Gruppen übrigens auch.

Ich kenne Rebbe Avraham Chaim Roth von seinem chassidischen Tisch in Jerusalem und war überrascht, seine Chassidim in Bnei Brak mit einem anderen Kleidungsstil anzutreffen. Schwarze Kaftane tragen sie dort anstatt des Jerusalemer Outfits blau – weiß. Toldot Aharon – Gründer Rebbe Aharon Roth wollte, dass seine Chassidim den Jerusalemer Stil tragen, woanders aber sind sie nicht daran gebunden.

Allerdings wollte ich nun nicht meine Zeit mit dem Suchen nach einer Gruppe, deren Frauen am Freitag abend in die Synagoge kommen, verschwenden und fand gleich um die Ecke Chabad. Wie könnte es auch anders sein ?

Dennoch war ich auch die einzige weibliche Person bei Chabad.
Die Chabadnikim in der Synagoge waren anders. Keine Baalei Teshuva und andere neu hinzu Gekommene. Dies waren richtige ursprüngliche Chabadnikim, die auch Jiddisch sprachen. Selbst andere Chassidim hatten sich zum G – ttesdienst eingefunden. Einer von Gur oder Alexander war auch dabei. Ich sage hier "oder", denn Gur und Alexander haben denselben Kleidungstsil und man kann sich nicht auseinanderhalten.

Mincha, das Nachmittagsgebet, ging in weniger als zehn Minuten ruckzuck über die Bühne und danach gab es eine 40 – minütige Lernpause. Zum Abendgebet Mariv sang ein Chazan alle Gebete laut vor, was sehr schön anzuhören war. Ich hatte keine besonderen Pläne und aß mein mitgebrachtes Essen. Hinterher machte ich mich wieder auf die Suche nach Sadigura, an deren Tisch ich teilnehmen wollte. Ich ging und ging und fan dimmer neue chassidische Synagogen, aber nicht die von Sadigura. Ich ging die Rabbi Akivah bis zum Ende hinauf, wo sie in die Kahaneman Street mündet. Und dort fand ich eine chassidische Gruppe, die ich in Jerusalem schon oft besuchen wollte, aber nie dazu kam. Der Rebbe der Gruppe, welcher regelmäßig Jerusalem besucht und große Tische gibt kommt aus Lugano. Und nun wissen viele, welche Gruppe ich fand. Genau die chassidische Gruppe Biale. In Bnei Brak hat Biale einen eigenen Rebben. Ich fand den Fraueneingang und fand dort einen Mann vor. Typisch.

Mit dem Typen hatte ich dann auch gleich eine lange Diskussion, die sich über eine halbe Stunde lang hinzog. Er war kein Chassid, sondern betete bei Biale. Der Typ stellte sich als Glücksfall für mich heraus, denn er gab mir bessere Auskünfte, wie jede Enzyklopedie. Er wußte alles und kannte jeden. Hinterher fragte er mich auch noch nach meinem Alter, denn er suchte offebar einen Schidduch (Ehepartner). Aber ich entkam rechtzeitig. Auf alle Fälle werde ich zu Biale zurückkehren, aber nicht wegen dem Typen.

Einige Auszüge unserer Unterredung:

ER:
"Weißt Du, Bnei Brak ist leicht zu erkunden. Die Chassidim haben sich so in etwas um vier große Straßen herum angesidelt und Du stehst gerade genau in der Mitte. Sadigura ist ganz in der Nähe. Geh nur einfach die Straße weiter hinauf. Aber da ist eh nicht viel los und ob es einen TIsch gibt ….wer weiß. Geh zu Vishnitz, da ist high life. Die sind so groß, dass sie allein zwei Stockwerke nur für Frauen haben. Jeder geht zum Vishnitzer Tisch".

ICH:
"Wer gibt denn den Tisch ? Israel oder Menachem Mendel ?"
(Die zwei Söhne (Rabbi Israel Hager sowie Menachem Mendel Hager) des Vishnitzer Rebben Bnei Brak kloppen sich um die Nachfolge)

ER:
"Oh, Du kennst Dich ja mit den Gruppen aus. Israel gibt den Tisch und er ist hier der King. Nicht Menachem Mendel".

ICH:
"Und was ist mit Gur (Ger) ? Was denken die Leute hier über sie ?"

ER:
"Nun, Gur ist schwer zu handhaben. Die bleiben immer nur untereinander und reden mit keinem. Von denen kriegst Du nie Infos. Eine chassidische Gruppe sollte offen sein und den Leuten entgegenkommen und nicht so geschlossen wie Gur".

ICH:
"Und was ist mit Machnovka, die derzeit mit Belz streiten ?"

ER:
"Oh, Machnovke, Machnovke, die haben eine winzige Synagoge in der Raschi Street. Sie nennen sich jetzt sogar Belz – Machnovke oder Machnovke – Belz. Kämpfe zwischen chassidischen Gruppen sind schon etwas Trauriges".

ICH:
"Und was gibt es hier bei Biale ?"

ER:
"Mit Biale in Bnei Brak ist es recht traurig. Der Rebbe ist über achtzig und hat zwar 300 Leute zum Beten am Schabbat, aber keinerlei eigene Chassidim. Er ist ein großer Mann, aber leider ohne Anhänger".


Ich war dem Typen total dankbar für all seine Infos, trotz offensichtlicher Schidduch – Absichten.

Ich kehrte zurück in die Kahaneman Street und ging dann irgendwie in den Seitenstraßen verloren. Unterwegs fand ich das Center der Chassidut Karlin – Stolin und irgendwann dann war ich dann sogar in Kiryat Vishnitz. Dort ging ich total verloren und fragte eine Bewohnerin nach der Chazon Ish Street. Ich gelangte in die Ezra Street und unterwegs sah ich von weitem das riesige Center der Chassidut Nadvorna. Abe rich wollte zu den Schomrei Emunim zurück und schauen, ob die einen Tisch mit dem Rebben haben. Nein, hatten sie nicht; also auf zu Nadvorna.

Ich ging um den riesigen Gebäudekomplex herum und fand ohne Mühe den Fraueneingang. Kurz bevor den Fraueneingang erreichte, erschien hinter mir der Rebbe von Nadvorna. Einige Chassidim und zwei Litvische in Begleitung. Jemand machte mir ein Zeichen, dass ich kurz warten solle. Also stand ich fast neben dem Nadvorna Rebben, der sich von den Litvischen berieseln lassen mußte, denn die krochen fast, verbeugten sich und küßten ihm ohne Ende die Hand. Der Rebbe entkam dann irgendwann. Er wohnt übrigens genau gegenüber vom Fraueneingang und sein Privateingang in die Synagoge befindet sich gleich daneben.

Die Frauenempore bei Nadvorna ist riesig und erinnerte mich an jene von Belz in Jerusalem. Riesig und sauber. Die Mechitzah (Trennwand zu den Männern) besteht aus Glas mit eingefärbten kleinen Löchern. Immer mehr Frauen kamen herein und verschwanden im hinteren Teil um die Ecke. Ich folgte dann irgendwann und als ich ankam, sah ich eine riesige Glaswand, durch die man schauen konnte wie im Theater. Keine Löcher mehr. Eine Frau meinte, ich hätte man gleich hier stehen sollen und ich erwiderte, dass dies mein erster Besuch sei und ich mich nicht auskenne. So kamen wir ins Gespräch und sie erzählte, dass sie von Nadvorna sei. Überhaupt waren wir an dem Abend nur zwei weibliche Gäste. Im Männerbereich standen vier oder fünf Nationalrelig.

Man erzählte mir, dass es Nadvorna nur in Bnei Brak gebe. Kein Jerusalem, kein New York, nichts. Außer ein paar kleinen Synagogen hier und da. Es war total einfach mit den Frauen ins Gespräch zu kommen. Sie sprechen Jiddisch und Hebräisch untereinander. Genauso wie die Teenage Girls.

Unten im Männerbereich hatten sich mindestens 300 Chassidim eingefunden und der Rebbe klatschte in die Hände; als Zeichen zum Beginn. Und man kann mir glauben, wenn der Nadvorna Rebbe Befehle gibt, dann folgen alle. Der Typ aus der Biale Synagoge hatte mir gesagt, dass Nadvorna die besten Melodien (Niggunim) habe, was ich nicht unbedingt bestätigen kann. Das erste Lied war grandiose, das zweite wurde zur Melodie von "Avinu Malkeinu" gesungen und der Rest riss mich nicht gerade vom Tisch, auf dem ich sass. Für mich persönlich hat Belz immer noch die besten Niggunim.

Der Rebbe machte Kiddusch (Segnung des Weines) und aß etwas Challah (Schabbatbrot), aber das war es auch. Das gesamte Essen verteilte er unter den Chassidim, und es gab reichlich warmes Essen. Ein toller chassidischer Tisch und zu keinem Zeitpunkt der Dauer von zwei Stunden langweilig. Allerdings war schwer, mitten in der Nacht wieder nach Tel Aviv zurückzulaufen.

Wenn jemand in Bnei Brak ist, dann sollte er sich nicht nur auf Vishnitz konzentrieren, sondern auch andere chassidische Gruppen besuchen. Nadvorna lohnt sich immer und ich kann es wärmstens empfehlen.



Tu Be'Shvat bei Chassidut Nadvorna / Bnei Brak








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